Sie kann dich sehen

Stand: 24.10.25

Kennst du das Gefühl, wenn du allein zuhause bist und dir ein Schauer über den Rücken läuft? Das Gefühl, dass sich fremde Blicke in deinen Nacken bohren? Das leise Knarzen, als würde sich jemand durch den Flur schleichen?

Diese Geschichte passierte vor fast 15 Jahren. Ich war 14 und meine Eltern waren über das Wochenende zu Freunden gefahren. Ich hatte Pizza bestellt und wollte den Abend vor der Konsole verbringen.  

Ich weiß nicht, wie spät es war. Spät abends, vielleicht auch nachts. Im Zimmer war es dunkel, nur der Bildschirm spendete Licht. Etwas scharrte. Bestimmt draußen im Treppenhaus. Irgendwo knarzt es leise. Es klang, als würde es aus dem Nebenzimmer kommen.

Ich stand auf, um nachzusehen. Natürlich war niemand in der Wohnung. Als ich zurück in mein Zimmer ging, lief mir ein Schauer den Rücken runter. Ich hatte das Gefühl, dass mich jemand beobachtet. Unmöglich. Die Vorhänge waren alle zugezogen und unsere Wohnung war im dritten Stock. Da konnte niemand einfach durch die Fenster schauen.

Ich ignorierte das Gefühl und setzte mich wieder vor den Bildschirm. Ich wollte das Level schaffen. Konzentriert starrte ich auf den Fernseher. Plötzlich nahm ich eine Bewegung aus dem Augenwinkel wahr. Vor Schreck ließ ich fast den Controller fallen. Da war nichts. Nur mein Kleiderschrank und mein Bücherregal. Keine Ahnung, was heute los war. Normalerweise hatte ich keine Probleme damit, allein zuhause zu sein.

Wieder lief es mir kalt den Rücken runter. Mein Blick wanderte zu den Schränken. In der Dunkelheit zwischen Schrank und Regal schien etwas zu sein. Sicher bildete ich mir das ein oder es war nur eine dicke Spinne, die in der vielleicht zwei Zentimeter breiten Lücke saß. Dann blinzelte die Gestalt. Dieses Mal ließ ich wirklich den Controller fallen und war mit einem Satz beim Lichtschalter. Der Spalt war leer.

Mein Herz hämmerte, als wollte es mir aus den Rippen springen. Um mich zu beruhigen, ging ich in die Küche. Ich nahm eine Limo aus dem Kühlschrank. Kaum hatte ich die Tür geschlossen, fiel mein Blick auf den schmalen Spalt zwischen Kühlschrank und Wand. Eine Frau blickte mich an. Sie war definitiv da. Aber das war unmöglich. Sie war normal groß, gleichzeitig blickte sie mich aus einer Lücke an, die gerade mal einen Zentimeter breit war. Ich bekam Kopfschmerzen, als mein Gehirn versuchte, den unmöglichen Anblick zu verarbeiten. Meine Hände zitterten, als ich mich zum Lichtschalter tastete, den Blick auf die Frau gerichtet. Klick. Das Licht ging an. Sie war verschwunden.

Ich sprintete durch die Wohnung, um überall das Licht anzuschalten. Im Dunkeln sah ich sie. Im Spalt zwischen Regal und Wand, hinter der leicht geöffneten Tür, in der schmalen Lücke unter der Kommode.

Und ich sah sie nicht nur zuhause. Sie beobachtete mich, wenn ich draußen unterwegs war. Wenn ich in der Schule saß. Immer dann, wenn Dunkelheit eine Lücke oder einen Spalt ausfüllte.

Monatelang weigerte ich mich, das Licht auszuschalten. Meine Eltern schickten mich in Therapie. Doch ich bin mir sicher, dass das, was ich sehe, real ist.

Ich sehe sie auch heute noch. Manchmal. Nicht so oft wie früher. Ein Schauer, der mir über den Rücken läuft. Meine Nackenhaare stellen sich auf. Das Gefühl, dass man beobachtet wird. Ich sehe sie in den dunklen Ecken und Lücken. Mittlerweile habe ich mich daran gewöhnt. Sie ist da. Sie wird nicht gehen. Also ignoriere ich sie. Und lasse das Licht an, wenn es möglich ist.

Spürst du manchmal Blicke in deinem Rücken? Das unangenehme Gefühl, dass dich jemand anstarrt, doch wenn du dich umdrehst, ist niemand da? Vielleicht musst du in den Spalt zwischen zwei Schränken oder die schmale Lücke unter dem Sofa blicken. Und du siehst eine Frau, die dich beobachtet. Obwohl sie unmöglich in die Lücke passt. Man gewöhnt sich daran. Denke ich. Hoffe ich.